Ashtanga Tirol

Mein Yogaweg des Karate

Mehr als zehn Stunden habe ich in den vergangenen zwei Tagen Yoga geübt.
Ohne ein einziges Asana. Ohne spezielle Atemübungen. Ohne bewusst zu meditieren. Ohne Om und ohne Mantra.
Mein Yoga ist am Wochenende ganz von selbst in meinem Geist entstanden.
Während ich Karate trainiert habe.
Viele Stunden lang. Viele hunderte Atemzüge lang. Fünf Übungseinheiten lang und noch darüber hinaus.

Schon seit zehn Jahren begleiten mich Yoga und Karate parallel durch mein Leben. Und beide leiten mich gemeinsam ganz wunderbar, vertragen sich ganz harmonisch, streiten aber mitunter auch einmal und reiben sich aneinander auf.

Japanische Schriftzeichen für Karate

Yoga ist für mich ebenso wenig wie Karate einfach „nur“ Sport. Karate, eine aus Japan stammende Kampfkunst, ist wie Yoga ein ganzheitliches System einer Erfahrungswissenschaft, das alle Aspekte unseres Seins auf eine günstige Art und Weise beeinflusst. Karate heißt übersetzt „Der Weg der leeren Hand“.
Körper, Geist, Seele und unser Energiesystem sind in das Training vollkommen involviert und wirken auch auf unseren Alltag nach. Das wahre Karate, den innersten Wesenskern des Karate, kann ich gar nicht im Übungsraum, wenn ich den weißen Anzug trage, erkennen. Es offenbart sich mir im alltäglichen Leben.

Karate ist wie Yoga eine Praxis, die ganz tief am Geist ansetzt. Ich bewege mich mit Fokus, mit Achtsamkeit, in tiefer Konzentration. Ich kontrolliere meine Atmung und setze sie bewusst ein und lenke dabei meine Energie. 

yogaś-citta-vr̥tti-nirodhaḥ (Yoga Sutra von Patanjali, I.2) *

Übersetzt aus dem Sanskrit bedeutet der Satz aus dem Yoga Sutra: Yoga entsteht, wenn die Bewegungen des Geistes zur Ruhe kommen. Oder: Yoga heißt, sich von den stetig unsteten Wellen im Geist nicht mitreißen zu lassen. Oder: Yoga bedeutet, sich nicht mit den mentalen Regungen zu identifizieren.

im gesamten Yoga Sutra wird mit keinem einzigen Satz erwähnt, wie die Praxis konkret auszusehen hat. Welche Bewegungen ich wie auszuführen habe, um das sich ewig drehende Gedankenkarussell im Kopf abstellen zu können. Also welchen Weg ich wie zu beschreiten habe, um dieses Ziel zu erreichen. 

Ich denke gerne. Mir macht es Spaß, kreative, verrückte Ideen in meinem Kopf entstehen zu lassen. Ich organisiere, multitaske und arbeite auch gerne. Doch genauso lasse ich mich halt auch gerne dazu verleiten, mich von meinen Gedanken runterziehen zu lassen und mich in Kleinigkeiten hineinzusteigern. Dadurch bin ich meistens in meiner mentalen Welt irgendwie irgendwo und nur selten ganz tief drinnen bei mir.

Sowohl Yoga als auch Karate helfen mir, Körper, Geist, Seele und Energie zusammenzubringen und meine Achtsamkeit in mir drin zu bündeln.

Im einen mache ich eben Chaturanga, den nach unten schauenden Hund oder verbrezle mich ein bisschen. Im anderen übe ich Beinkicks, führe Fauststöße durch oder springe durch die Luft. 

tīvra-saṁvegānām-āsannaḥ (YS I.21) – Durch intensive Praxis kommt das Ziel nahe. *

Im einen mag vielleicht Entspannung, der Flow-Zustand oder das balancierte Stehen im Handstand das Ziel sein. Im anderen ist es dann eben der Schwarze Gürtel oder die Beherrschung des Uramawashigeri (eine geschnappte seitliche Angriffstechnik mit dem Bein).

Beide Disziplinen stellen Wege dar.
Wege, die ich selbst beschreiten muss. 
Wege, die meine Persönlichkeit prägen.
Wege, die mich wachsen lassen.

Mein Weg: Karate und Yoga. Yoga und Karate. 

Und wie geht es dir? Wie erlebst du Yoga-Erfahrungen ohne Matte? 
Ich freue mich auf einen regen Austausch!

Om & Oss.

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* Weitere Erläuterungen zu den einzelnen Sutren gibt es jeweils unter dem zugehörigen Link auf der Webseite von Dr. Ronald Steiner ashtangayoga.info