Kennst du das auch, das Gefühl des Zu-Voll-Sein, dass du dich matt und schwer fühlst und der ganze Überfluss dich davon abhält, ein erfülltes Leben zu führen?
Mein Punkt 1: Wir haben zu viele Sachen. Alleine wenn ich die Tür unserer Wohnung aufsperre, stolpere ich über Kindergummistiefel, Erwachsenenschuhe und einer Ansammlung an Hand-/Sport-/Einkaufs-/Arbeits-/Wofürauchimmer-Taschen. Wir haben zu viele Dinge. In cheintoten Winkeln haben sich diverse Häufchen angesammelt, die willkürlich platzierte Gegenstände beherbergen.
Auch wenn unser Wohnzimmer in erster Linie einem Schlachtfeld aus Duploklötzen, Holzgefährten und Kinderbüchern gleicht, es wäre zu einfach, alles dem 20 Monate alten Minimann zuzuschieben.
Ich kann bei niemand anderem anfangen außer bei mir.
Patanjali spricht im ersten Satz des zweiten Kapitels des Yoga Sutras von Kriya Yoga – dem Yoga des Tuns. Anstatt über die Dinge zu reden, vor- oder nachzudenken, sich ständig etwas vorzunehmen und vor sich herzuschieben, geht es dabei vor allem darum, etwas zu tun. Daran habe ich mich erinnert, als ich vor ein paar Tagen mit den Müllsäcken ausgerückt bin. Erster Ort des Anpackens: Das Badezimmer.
Schonungslose Ehrlichkeit. Fast könnte es mir vielleicht peinlich sein, zu schildern, was ich in den zwei Kästen gefunden habe. Unzählige Hautcremeproben und Werbegeschenke, die ich sowieso nicht verwende, weil ich auf die selbst angerührte Naturpur-Bio-Creme meiner besten Freundin schwöre. Ein Massageöl, aufzubrauchen bis März 2007. Ja, es war ein lieb gemeintes Geschenk einer lieben Person, die ich aus den Augen und auch aus dem Herzen verloren habe. Vielleicht habe ich das Öl deshalb noch gehortet. Aber wie sagt oft: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Jetzt ist es Zeit, Abschied zu nehmen und Dinge zu beenden. Die kleine Flasche fliegt raus. Ich finde auch Mini-Duschgels und kleine Body-Lotion-Tiegel von Hotels auf vier Kontinenten. Zu schade zum Wegwerfen, denke ich mir jedes Mal und nehme die unbenutzten Fläschchen oder den Rest oft mal mit heim – doch verwendet habe ich sie nur selten. Der wachsende Haufen an Müll in meinem Sack führt mir vor Augen, dass sich wohl an der Art und Weise, wie wir Dinge nutzen – oder auch nicht nutzen, anbieten oder generell verwenden etwas ändern muss. Aber nicht nur in unserer Gesellschaft, ich muss bei mir anfangen.
Denn ob die Fläschchen direkt im Hotel im Müll landen oder fünf Jahre später bei mir daheim, ändert unterm Strich gar nichts. Ein Zehnerpack-Einwegrasierer mit neun unbenutzten Wegwerfrasierern erinnert mich daran, als ich vor fünf Jahren bei einer Dienstreise meinen Rasierer daheim vergessen habe, und besagte Zehnerpackung das einzige war, was es in dem Kaff zu kaufen gab. Noch mehr Dinge, noch mehr Müll.
Zwei Stunden später ist mein Badschrank nur noch halbvoll, ich fühle mich innerlich gereinigt, leicht und frei. Die Kindersachen miste ich zwei Tage später aus. Die nächste Baustelle werden mein Kleiderschrank und mein Schreibtisch sein, gefolgt von den Küchenschränken. Ich freue mich drauf. Noch mehr Dinge loswerden, anstatt sie herumliegen zu lassen bzw. mit herumzuschleppen.
Detox heißt das Modewort für diesen Prozess. Entgiften, entschlacken und Ballast abwerfen, aber nicht nur körperlich oder bei Objekten, sondern ganzheitlich von innen, unsere Gedanken, Emotionen, unseren Energiehaushalt immer wieder reinigen. Auf null setzen, damit Neues entstehen darf.
Und so komme ich zu meinem Punkt 2: Wir haben zu viele ungesunde Gedanken. Bzw. auch ich habe zu viele ungesunde Gedanken.
Die vielen Objekte, Dinge – oft sogar einfach nur Müll, wie in den Untiefen in meinem Badezimmerschrank – sind nur das Außen. So sehr es vielen von uns auch schwerfällt, sich von vermeintlich liebgewonnenen Dingen zu trennen, wie etwa das abgelaufene Massageöl – viel schwieriger ist es doch, sich von belastenden Gedanken, zerstörerischen Denkmustern, geistigen Blockaden, leidbringenden Prägungen zu trennen.
Das Entrümpeln der Wohnung ist von außen betrachtet, eine vermeintlich „große“ Handlung, deren Folgen man von außen sofort sehen kann. Viele von uns, ich eingeschlossen, horten nicht nur Dinge, sondern viele Glaubenssätze, klammern uns an festgefahrenen Strukturen fest und wiederholen oft immer dieselben Handlungen, in der Hoffnung, andere Resultate einzufahren. Die vielen kleinen Handlungen, wie etwa das ständige Hinterfragen meiner Taten, das Innehalten in meinen Gedanken, das In-Mich-Gehen und die permanente Konfrontation mit meinen Blockaden und Verhinderungsmustern, das ist die wirklich große Arbeit, deren Resultate sich vielleicht erst in Jahren zeigen werden. Dabei handelt es sich vor allem um jene Prozesse, die auch weh tun, die vielleicht Tränen produzieren, wo ich immer wieder an meine Grenzen stoße. Und daran arbeite ich mich ständig ab, wieder und immer wieder. Mit Durchbrüchen und Rückschlägen. Weil ich ich bin – und nicht die scheinperfekte Illusion, wie vielleicht ein Yogalehrer zu sein oder zu ticken habe.
Mein Impuls zum Entrümpeln im Innen wie im Außen entstand infolge einer ziemlich angsterfüllten Zahn-OP. Seit mehreren Monaten schon ging es meinem Weisheitszahn links unten nicht mehr gut. Ich hatte keine Schmerzen, aber ich spürte gelegentlich, dass sich der Zahl nicht mehr gesund anfühlte. Meine riesige Zahnarztangst hat ich davon abgehalten, ihn ziehen zu lassen – korrekt ausgedrückt, überhaupt den Zahnart aufzusuchen. In einem Seminar fasste ich für mich die Absicht, das Problem im wahrsten Sinne des Wortes an der Wurzel zu packen. Schriftlich hielt ich fest, bis Ende des Monats einen Zahnarzt-Termin zu vereinbaren. Und nur wenige Momente, nachdem ich den Absichtssatz formuliert und niedergeschrieben habe und so beschlossen habe, mich auch der Angst zu stellen, war die Angst weg.
Sie kam auch nicht wieder, nicht beim Telefonat, nicht im Wartezimmer, auch nicht auf dem Zahnarztstuhl oder im Röntgenraum. Sie kam nur noch einmal kurz hoch, zwei Wochen später, am Tag der OP, auf den Schritten in den Behandlungsraum. Der Arzt strahlte Ruhe, Sicherheit und Empathie aus und beruhigte mich wunderbar. Mir war trotzdem schlecht vor Angst.
Die Geräte rückten an. Mund weit aufmachen. Außer tief zu atmen und mithilfe des Zählens meiner Atemzüge die Momente ganz präsent wahrzunehmen, konnte ich sowieso nichts machen. Es waren nur fünf tiefe, lange Atemzüge. Alles war vorüber und der Zahn war weg.
Die folgenden zwei Tage waren kein Wellnessurlaub. Doch unmittelbar danach spürte ich, wie in mir eine Kraft aufzukeimen begann. Ich bin den ungesunden Zahn losgeworden und habe damit auch ungesundes Verhalten abgeschüttelt.
Der Anruf beim Zahnarzt war nur ein kleines Ding, dauerte keine zwei Minuten. Und es ist so viel daraus entstanden. Ich habe mehr Sachen als sonst angepackt, diese Webseite ist eine davon. Neben dem Zahn bin ich noch viel mehr losgeworden. Und daraus sind wiederum Begegnungen entstanden, offene Türen, neue Wege. Ich habe viel Spaß erlebt, durfte viel Freude spüren, habe viel Liebe und Vertrauen bekommen.
Ob dieser Prozess der Reinigung des Geistes und der Seele jemals abgeschlossen sein wird, keine Ahnung. Vermutlich nicht. Aber ich befinde mich auf dem Weg und ich gehe ihn gerne.
Ich übe Yoga. Ich halte inne in der Stille. Ich atme ein, ich atme aus. Ich bewege mich – im Körper und im Geist. Und ich lasse los.
Wie geht es euch mit dem Loslassen?
Fällt es euch auch manchmal schwer?
Nächste Woche gibt es im Blog noch konkrete Tipps dazu – für Yoga und für’s Leben.
Om & Oss.
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