Yoga – eine Religion?

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Yoga – eine Religion? *

Je tiefer ich in meinem Unterricht in die Philosophie eintauche, drängt sich bei meinen Teilnehmern immer irgendwann einmal die Frage auf, ob Yoga eigentlich eine Religion sei, oder ob Yoga hinduistisch sei. Und weil dies eine der häufigsten Fragen überhaupt ist, möchte ich sie hier beantworten.

Meine erste kurze Antwort lautet immer: Nein, Yoga ist meiner Ansicht nach keine Religion.

Wenn ich Yoga und Religion miteinander Beziehung setze, möchte ich zunächst grundsätzlich aber klarstellen, was Yoga für mich heißt und was Religion bedeutet. Yoga stellt für mich eine ganzheitliche Erfahrungswissenschaft dar, die tief mit einer ganz persönlichen Praxis, persönlichen Erfahrungen und meinem ganz eigenen inneren Wachsen zusammenhängt. Und aus diesen Erfahrungen schaffe ich für mich Wissen. Mit Religion verbinde ich hingegen das Glauben, was nichts anderes als „nicht wissen“ bedeutet. Ich weiß nicht, was nach dem Tod kommt. Glaube ich also an die Auferstehung oder an die Wiedergeburt?

omswIm Yoga geht es immer darum, wie ich etwas erlebe, wie ich den Bezug zu den so genannten höheren Kräften herstelle und für mich selbst Antworten auf die großen existenziellen Fragen des Lebens finde. Dazu brauche ich vor allem mich selbst, meinen Körper, meinen Geist und die Bereitschaft nach innen zu gehen, die Dinge zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. Mein Lehrer sollte die Fragen stellen und Denkanstöße geben, die Antworten muss ich selbst finden. Denn im Yoga beginnt und endet alle bei mir selbst. Wie funktionieren mein Geist, mein Denken? Was spüre ich beim Praktizieren? Wie kann ich prāna erfahren? Was kann ich für mich selbst aus den Quellentexten herauslesen? Was passiert mit meinem Innenleben? Selbst wenn jemand Yoga „nur“ für den Körper und die Gesundheit ausüben möchte, wird mit der Zeit feststellen, dass die Achtsamkeit, die damit entwickelt wird, auch abseits der Yogamatte wirkt und das tägliche Leben verändern wird.

In den großen Religionen herrschen hingegen Machtstrukturen und Hierarchien vor. Für die wirklich bewegenden Fragen des Lebens gibt es vorgefertigte Antworten und Glaubenssätze. Durch diese Struktur und die Organisation der großen Weltreligionen in Kirchen und Glaubensgemeinschaften wird den Gläubigen und Mitgliedern stets ein gewisses Maß an an Gehorsam und Unterordnung aufgedrückt. Aufgrund dessen schafft Religion Abhängigkeit, während ich mithilfe von Yoga Unabhängigkeit und innere Freiheit aus eigener Kraft erreichen kann. Im Yoga möchte ich auch alteingesessene Glaubenssätze auf den Prüfstand stellen, kritisch hinterfragen, um mich von dem Ballast dann erleichtern zu können.

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Obwohl der Yoga keine Religion ist, gilt Yoga aber nicht als atheistisch. Yoga und Religion haben mehrere Elemente gemeinsam, allen voran das Bewusstsein für das Göttliche als eine höhere Kraft, was ich gerne als Spiritualität bezeichne. Sowohl im Yoga als auch in so gut wie jeder religiösen Richtung wird anerkannt, dass es etwas gibt, was größer ist als wir Menschen – und dem geben wir uns hin.

Es schwirren jedoch sehr viele Missverständnisse im Zusammenhang von Yoga und Religion durch die Yogaszene. Wenn in vielen Yogastudios etwa Statuen von Gaṇeśa oder Śiva stehen, bedeutet das noch lange nicht, dass Yoga hinduistisch ist. Vielmehr haben Yoga und der Hinduismus dieselben Wurzeln, nämlich die Veden und auch diese sind sehr wohl theistisch – brahman gilt als die absolute Ur-Kraft des Universums und steht als die göttliche Seele über allem. Der Yoga hingegen gilt als eine der sechs Hauptrichtungen der indischen Philosophie. Die Götter, und damit auch die Götterstatuen, dienen dabei als Avatare, also um das In- Erscheinung-Treten dieser göttlichen Kraft auf der Welt. Die Götter gelten ihrerseits als unperfekte Gestalten mit Stärken und Schwächen, die uns an unseren göttlichen Ursprung und andererseits an unsere eigene Unvollkommenheit im Leben bewusst werden soll.

Auch wenn wir bei „namaste“ die Hände vor dem Herzen zusammenbringen, hat das nichts mit dem Beten im religiösen Sinne zu tun. Wir verbinden unsere Hände, die rechte und linke Körperhälfte und damit stellvertretend alle Polaritäten des Lebens. Wir sammeln uns und bringen diese Konzentration zum Herzraum. Diese Geste stellt einen Ausdruck von Dankbarkeit, Respekt und Verbundenheit mit sich selbst und dem Universum dar.

* Dieser Text ist die Kurzfassung der Frage aus meiner BDY-Abschlussarbeit: In welcher Beziehung stehen Yoga und Spiritualität

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